Wesen und Sendung der Kunst

Quelle: FSSPX Aktuell

Das Gemälde Gottvaters wird angebracht in der Kuppel der Immaculata Kirche in St. Mary's Kansas. Die Einweihung der Kirche ist geplant für den Monat März 2023.

In Deutschland wird gerade viel über Kunst gesprochen. Anlass ist die „documenta“ in Kassel. Ein Kunstwerk trifft das Verdikt des Antisemitismus. Das führt zu der Frage der sogenannten Kunstfreiheit. Wieviel ist schon zu dem unerschöpflichen Thema gesagt worden! Lesen wir einige Gedanken Papst Pius XII. über das Wesen und die Sendung der schönen Künste. In einer Ansprache an den Kongress katholischer Künstler sagte er am 3. September 1950:

Die Unruhe einer in ihren Grundfesten erschütterten Welt, die Entfremdung der Geister untereinander, die Gegensätze der Interessen, der Argwohn eines überempfindlichen Individualismus haben, obwohl die äußeren Verbindungen sich vervielfachten und die Vereinsamung des einzelnen verschärft, die inneren Entfernungen erweitert und vertieft. Gerade das Übermaß des Bösen hat allmählich die Notwendigkeit in ein um so helleres Licht gerückt, alle vereinsamten Kräfte der friedliebenden Nationen und Völker zu gemeinsamem Handeln zusammenzufassen.

Ausdauernde und umsichtige Versuche, die Verständigung oder die Zusammenarbeit der verschiedenen Länder herbeizuführen, sind nicht erst von heute oder gestern. Die Ereignisse unserer Zeit haben gewiss nicht die Haltlosigkeit und Nutzlosigkeit dieser Versuche, wohl aber ihre Unzulänglichkeit und Unbeständigkeit unterstrichen. Mit lobenswertem Eifer haben sich daher alle bemüht, den bestehenden Schwierigkeiten zum Trotz, internationale Vereinbarungen politischer, juristischer, wirtschaftlicher, sozialer Art zu fordern. Aber man hat dabei sehr schnell festgestellt, dass noch etwas tiefer Menschliches vonnöten ist; und im Bereich der Technik, der Wissenschaft, der Kultur begannen, wenn schon nicht die Einigkeit, so doch wenigstens Teileinigungen auf Teilgebieten zustande zu kommen.

Im geistigen Bereich nimmt die Gemeinschaft der katholischen Künstler einen der ansehnlichsten Plätze ein. Das ist auch begreiflich, da die Kunst unter gewissen Gesichtspunkten der lebendigste, gefüllteste Ausdruck menschlichen Denkens und Fühlens ist, und zugleich auch der allgemeinverständlichste. Die Kunst spricht unmittelbar zu den Sinnen, sie kennt keine Verschiedenheit der Sprachen, sondern nur die eine höchst ansprechende der Temperamente und der Geisteshaltungen. Überdies dringt die hörbare oder sichtbare Kunst durch ihre Gefälligkeit und Feinheit beim Zuschauer oder Zuhörer in Tiefen des Verstandes und des Gefühls, in die das geschriebene oder gesprochene Wort mit seiner unanschaulichen auflösenden Genauigkeit niemals zu dringen vermag.

Aus diesen beiden Gründen hilft die Kunst den Menschen trotz aller Verschiedenheit der Charaktere, der Erziehung und der Kultur, sich kennenzulernen, sich zu verstehen.

Damit die Kunst ein so wünschenswertes Ergebnis hervorbringen kann, ist vor allem erforderlich, dass sie einen Ausdruckswert besitzt, ohne den sie aufhört, wahre Kunst zu sein. Dies zu bemerken ist heute nicht überflüssig, wo in manchen Schulen das Kunstwerk allein für sich nicht genügt, den Gedanken wiederzugeben, Gefühle auszudrücken, die Seele seines Schöpfers zu offenbaren. Wenn aber das Kunstwerk einer Erklärung in Worten bedarf, verliert es seinen eigentümlichen Wert und dient nur noch dazu, dem Sinn einen rein sinnenmäßigen Genuss zu verschaffen oder dem Geist den Genuss eines subtilen und eitlen Spiels.

Eine andere Bedingung, damit die Kunst mit Würde und Erfolg ihre hohe Sendung der Verständigung, der Eintracht und des Friedens erfülle, ist jene, die Sinne aus den vergänglichen Kleinheiten und Armseligkeiten zu dem zu erheben, was ewig, wahr und schön ist. Zu erheben zum einzig wahren Gut, dem wahren Mittelpunkt, in dem jede Einigung sich vollzieht und die Einheit sich vollendet.

Erinnern wir uns hier nicht an die herrliche Vision des Apostels: lnvisibilia enim ipsius a creatura mundi per ea quae facta sunt, intellecta conspiciuntur, sempiterna quoque eius virtus et divinitas? - Lässt sich doch sein unsichtbares Wesen seit Erschaffung der Welt durch seine Werke mit dem Auge des Geistes wahrnehmen: seine ewige Macht, wie seine Göttlichkeit? (Röm 1, 20). 

Alle Regeln, die dahin führen, die Kunst von ihrem erhabenen Auftrag abzubringen, entweihen sie und machen sie unfruchtbar. „Die Kunst für die Kunst“: als ob die Kunst Selbstzweck sein könnte, dazu verurteilt, sich im Bereich der wahrnehmbaren stofflichen Dinge zu bewegen und hinzuschleppen; als ob in der Kunst die Sinne des Menschen nicht einer höheren Berufung gehorchten, als der der einfachen Erkenntnis der stofflichen Natur, nämlich der Berufung, im Verstand und in der Seele dank der Transparenz dieser Natur das Begehren wieder zu erwecken nach den „Dingen, die das Auge nicht gesehen, das Ohr nicht gehört hat, und die nicht bis zu seinem Herzen aufgestiegen sind“ (1 Kor 2, 9). 

Wir reden hier nicht von einer unmoralischen Kunst, die sich zum Ziele setzt, die geistigen Kräfte der Seele zu erniedrigen und der sinnlichen Leidenschaft dienstbar zu machen. „Kunst“ und „Unmoral“ sind zwei Begriffe, die in grellem Widerspruch zueinander stehen.

Lasst also auf Erden und über der Menschheit den Widerschein der göttlichen Schönheit und des göttlichen Lichtes leuchten: indem ihr dem Menschen helft, alles das zu lieben, „was an Wärme, Reinheit, Recht, Heiligkeit, Liebenswürdigkeit existiert“. Alsdann habt ihr einen großen Beitrag zum Werk des Friedens geleistet „und der Gott des Friedens wird mit Euch sein“ - et Deus pacis erit vobiscum (Phil 4, 8).