Welche Folgen hat die Erbsünde für den Menschen und sein Handeln?

Quelle: FSSPX Aktuell

Die Erbsünde hat die natürliche Beschaffenheit des Menschen nicht zerstört, aber seine natürliche Kraft geschwächt; darum kann der Mensch ohne Hilfe der Gnade keine natürlich-rechte Lebens- und Gesellschaftsordnung erreichen.

Die Bedeutung dieser urkatholischen Lehre, die selbstverständlich bei allen offenbarungsfeindlichen Menschen und Richtungen schärfster Ablehnung begegnet, wird auch von uns Katholiken zu wenig beachtet. Der Mensch ist auch nach der Erbschuld Mensch geblieben; er hat mit dem Verlust der heiligmachenden Gnade und aller anderen übernatürlichen Vorzüge nicht die Fähigkeit zu denken und zu wollen eingebüßt; er ist nicht so weit in Unordnung geraten, dass ihm der Weg zur natürlich erkennbaren Wahrheit völlig versperrt ist und er nichts natürlich Gutes mehr zu erstreben und zu tun vermag.

In seiner Enzyklia Humani generis vom 12. August 1950 lehrt Pius XII.:

Die menschliche Vernunft kann zwar, allgemein gesprochen, mit ihren natürlichen Kräften und Einsichten zu wahrer und sicherer Erkenntnis des einen persönlichen Gottes, des Erhalters und Lenkers der Welt, und zur Erkenntnis des vom Schöpfer in unser Herz gelegten natürlichen Sittengesetzes gelangen; trotzdem stehen aber dem erfolgreichen und nutzbringenden Gebrauch dieser naturgegebenen Befähigung der menschlichen Vernunft: nicht wenige Hindernisse entgegen. Übersteigen doch die Wahrheiten, die sich auf Gott und auf das Verhältnis zwischen dem Menschen und Gott beziehen, den Bereich der Sinnenwelt; und sollen sie auf das praktische Leben bestimmenden Einfluss gewinnen, so verlangen sie Opferwille und Selbstverleugnung. Für den menschlichen Verstand ist es schwierig, zur Anerkennung derartiger Wahrheiten zu gelangen, einmal wegen des Einflusses der Sinne und der Einbildungskraft, so dann wegen der ungeordneten Begierden, die aus der Erbsünde stammen. So kommt es, dass sich der Mensch in solchen Fragen. gerne einredet, das sei falsch oder wenigstens nicht sicher, was er nicht wahrhaben will.

Der Mensch ist gezeichnet 

Der Mensch ist geschwächt, seine Kräfte sind gelähmt, gefesselt. Das gilt besonders für das sittliche Leben, da vom Willen und vom Ungestüm der Leidenschaften (Triebe, Neigungen) her der Blick auf das Gute verdunkelt und die Entscheidung zum Guten ungemein erschwert wird.

Ja, weil der Wille durch den Abfall von Gott, dem einzigen natürlich-übernatürlichen Lebensziel, der Richtung auf das Endziel entbehrt, ist die Natur nach einem Wort des hl. Thomas „auf sich selbst zurückgefallen“, das heißt der Mensch erstrebt, solange er nicht durch die Gnade Gottes dem wahren Endziel wieder verbunden wird, sich selbst als letztes Ziel.

Notwendigkeit der Gnade 

Damit ist die Ordnung verkehrt, sie kann nur durch die Gnade wieder hergestellt werden. Die Gnade hat auch die Aufgabe und die Wirkung, die gefallene und verderbte Natur zu heilen, den Menschen wieder in den Stand zu setzen, das natürlich Gute wieder voll und ganz zu verwirklichen, also ein natürlich-guter und edler Mensch zu werden.

Die Gnade verleiht dem Menschen die Kraft, die ungeordnete Begierlichkeit zu überwinden, die Herrschaft des Geistes in seinem Innern wieder aufzurichten, den Kampf um die höheren Werte siegreich zu bestehen.

Erbsünde erklärt Irrwege

Nur die Lehre von der Erbschuld erklärt die mannigfachen Irrwege der Menschheit, nicht zuletzt auf gesellschaftlichem Gebiet, wo infolge der vielen Verwicklungen die Irrtumsmöglichkeit sehr groß ist.

Nur die Lehre von der Erbschuld erklärt die Aussichtslosigkeit aller bloß natürlich-menschlichen Bemühungen um die wahre und gerechte Sozialordnung: die furchtbare Belastung aus der Erbsünde, die Selbstsucht, der Hang zum Eigenen, muss sich besonders scharf im Leben der Menschen untereinander auswirken. Denn hier kommt es gerade darauf an, die Selbstsucht zu überwinden, das zu sehen und zu suchen, was des anderen und der Gemeinschaft ist.

Reform ist nötig 

Die Welt muss also christlich werden, damit sie überhaupt in der Lage und gewillt ist, sich sozial wirklich zu erneuern. Darum muss alle christliche Sozialreform dabei beginnen und unentwegt darauf hinarbeiten, die Welt zu „verchristlichen“, die Menschen zum Glauben an Christus und zum Leben in Christus zurückzuführen.

Den bitteren, aber unwiderlegbaren Erfahrungsbeweis liefert die Geschichte.

Je mehr die Menschen sich von Christus, Seiner Lehre und Seiner Gnade entfernt haben, desto mehr geriet das Gemeinschaftsleben in Unordnung, desto schlimmer triumphierte die Selbstsucht in ihren verschiedenen Formen.

Pius XI. schrieb in der Enzyklika Quadragesimo anno am 15. Mai 1931:

Tiefe und eindringendere Betrachtung zeigt klar, dass der so heiß ersehnten Erneuerung der Gesellschaft eine ganz innerliche Erneuerung im christlichen Geist voraufgehen muss, den so viele Menschen im wirtschaftlichen Leben verleugnen. Andernfalls werden alle Bemühungen vergeblich sein, und das Gebäude wird statt auf Felsengrund auf flüchtigen Sand gebaut.